Die Veranstaltungsreihe “Nach dem Wettbewerb: Wie geht’s weiter mit dem Münchner Nordosten“ ging am 8. Dezember 2020 in die zweite Runde. Mit über 200 Teilnehmer*innen war die Online-Veranstaltung zur Frage „Welcher Raum bleibt für Klima- und Naturschutz, Naherholung und stadtnahe Landwirtschaft?“ noch stärker besucht als der Auftakt am 18. November.
Zu Beginn des von der ehemaligen Münchner Stadtbaurätin Professorin Christiane Thalgott ebenso sachkundig wie engagiert moderierten Abends führten die Vorträge von zwei Landschaftsplanerinnen in das Thema ein.
Professorin Undine Giseke (TU Berlin) erläuterte anhand des von ihrem Büro federführend erarbeiteten Konzeptes „Freiraum München 2030“ die Strategien und Bausteine einer doppelten Qualifizierungsstrategie: Einerseits verdichten, um Flächen zu sparen und andererseits Freiräume mit vielfältigen Qualitäten vernetzen und mehrfach nutzen. Der Entwurf des 1. Preisträgers beim städtebaulichen Ideenwettbewerb greift nach ihrer Ansicht dieses Konzept auf und schlägt ein gut mit bestehenden und künftigen Baugebieten verknüpftes grünes Raumgerüst für den neuen Stadtteil vor. Um „den Stadtrand neu zu codieren“ hält Undine Giseke einen integrierten Ansatz für notwendig, der mit dem Blick auf Menschen und Tiere Landwirtschaft, Wasser, Biodiversität und Materialflüsse berücksichtigen sollte – bis hin zu einem Zukunftskonzept für die „Pferdewelt“ im Nordosten.
Mit dem Stadtklima als (un)lösbarer Widerspruch zum geplanten Stadtteil befasste sich der Vortrag von Professorin Regine Keller (TU München). Durch die urbane Hitzeinsel, Starkregen und andere Folgen des Klimawandels entsteht Stress für Menschen, Tiere und Pflanzen. Leitbilder und Strategien zum Umgang damit sind längst bekannt: Eine autofreie und begrünte Stadt, Regenwassermanagement, Aufforstungen etc. – aber es gibt ein großes Umsetzungsdefizit. Anhand ihrer Studie zu 100 Plätzen in München zeigte Regine Keller, was dagegen zu tun ist, z.B. mit der Entsiegelung von Flächen und mehr Großbäumen. Für den neuen Stadtteil im Nordosten schlägt sie vor, mit der Umsetzung eines grünen Raumgerüstes sofort zu beginnen und damit schon im Vorfeld der Bebauung in einer Art „Generationenvertrag“ Qualitäten für die Zukunft zu schaffen. Diese grüne Infrastruktur aus Naturschutzflächen, Gewässern, urbanen Wäldern und naturnahen Freizeitangeboten sieht sie als „Park-Allmende“, d.h. als Gemeingut der Bevölkerung und greift damit den beim Wohnungsbau gerade in München sehr erfolgreichen Genossenschaftsgedanken auf.
Eine Aufzeichnung der beiden Vorträge finden Sie ab Mitte
Dezember auf der Website der Evangelischen Stadtakademie.
Die nachfolgenden Kommentare beleuchteten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven:
Gaby Falter von der Olympia-Reitanlage unterstrich die Bedeutung der seit 1972 weiterhin gut genutzten Anlage mit ihrem wertvollen Baumbestand für Pferdesport und Pferdezucht. Dies sei prägend für die Identität des Münchner Nordostens, aber auch als Wirtschaftsfaktor bedeutsam, z.B. durch Pensionspferdehaltung. Sie betonte im Hinblick auf den neuen Stadtteil ihre Offenheit für vielfältige Kooperationen.
Christian Hierneis, Vorsitzender des Bund Naturschutz in München und Landtagsabgeordneter der Grünen, erläuterte seine Vorstellungen anhand eines vom Bund Naturschutz zur Entwicklung im Nordosten erstellten Gutachtens. Die Erhaltung der Artenvielfalt und der Landwirtschaft führten zu der aus seiner Sicht noch immer aktuellen Forderung, eine Bebauung für maximal 10.000 Einwohner*innen sehr kompakt und auf einer möglichst kleinen Flächen vorzusehen. Weil Naturschutz auch Menschenschutz sei, müsste für den Wohnungsbau auch nach anderen Wegen gesucht werden –sei es durch die Entlastung der wachsenden Metropolregion München durch mehr Arbeitsplätze und bessere Infrastruktur in schrumpfenden Regionen oder durch die Aufstockung von Gebäuden bzw. die Bebauung von Parkplätzen. Um Lösungen gemeinsam mit den Menschen zu entwickeln, plädierte Hierneis für mehr Bürgergutachten statt der üblichen Bürgerworkshops.
Dagmar Wagner vom Bayerischen Bauernverband betonte die Bedeutung der Landwirtschaft in der Stadt für eine Nahrungsmittelversorgung der kurzen Wege. Leider habe die Stadt mit den Landwirten, die ja zum Teil auch Pächter seien, von Anfang an nicht ausreichend kommuniziert. Mit einem „kooperativen Modell“ wären Lösungen „auf Augenhöhe“ aus ihrer Sicht eher zu erreichen als mit dem Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme.
In der anschließenden Diskussion konnten nur wenige Fragen aus den sehr zahlreichen Chat-Beiträgen aufgegriffen werden. Es wurde deutlich, dass bei der Suche nach anderen Strategien und Standorten für bezahlbare Wohnungen berücksichtigt werden muss, dass auch bei der Nachverdichtung (Aufstockung, Bebauung von Innenhöfen oder Parkplätzen) viele Gegenargumente zu berücksichtigen sind – nicht nur von Eigentümer*innen und Nachbar*innen, sondern auch hinsichtlich Stadtklima oder Baumschutz. Eine von vielen gewünschte ausgewogenere regionale Verteilung des Wachstums würde mehr Engagement des Freistaats für einen gerechteren Ausgleich von Vorteilen und Lasten durch ein besseres Landesentwicklungsprogramm voraussetzen. Notwendig wäre auch eine kritische Revision der Gewerbesteuer, die für viele Kommunen die Gewerbeansiedlung attraktiver macht als den mit hohen Kosten für Kindertagesstätten und Schulen verbundenen Wohnungsbau. Um bei den geplanten 30.000 Einwohner*innen eine Überlastung wertvoller Biotope oder des geplanten Badesees zu vermeiden, betonte Regine Keller die Bedeutung vielfältiger wohnungsnaher Freizeitangebote und einer guten Besucherlenkung. Aus ihrer Sicht lassen sich Nutzungskonflikte am besten lösen, wenn die Bürger*innen selbst Verantwortung für die Freiräume übernehmen und sich nicht nur auf die Stadt verlassen: „Werden Sie Teil einer neuen Allmende-Landschaft!“
Der Austausch im Chat war übrigens noch intensiver als beim ersten Mal. Dabei ging es u.a. erneut um das grundsätzliche Für und Wider und die Größe des neuen Stadtteils und um mögliche Alternativen für den notwendigen Bau bezahlbarer Wohnungen. Negative Auswirkungen einer Bebauung für das Stadtklima wurden ebenso thematisiert wie die Sorge um eine mögliche Überlastung der Naturräume und des geplanten Badesees durch eine zu intensive Nutzung. Auch die bisherige Kommunikation der Stadt wurde kritisch kommentiert. So wurde der Chat fast zu einer Parallelveranstaltung, die leider auch die Aufmerksamkeit von den informativen Fachvorträgen und den sachkundigen Kommentaren ablenkte. Dem großen Bedürfnis nach Information und Meinungsaustausch soll jedenfalls dadurch Rechnung getragen werden, dass die Chat-Beiträge strukturiert und anonymisiert an das Planungsreferat weitergegeben werden.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 11. Dezember ausführlich und kompetent über die Veranstaltung.
Am 14. Januar 2021 geht es (wieder Online) weiter mit dem Thema “Welche Anforderungen der Stadtentwicklung müssen der Bahnausbau und das Mobilitätskonzept erfüllen?“.
Anmeldung über die Evangelische Stadtakademie.
Am 11. Februar 2021 folgt dann der letzte Abend zum Thema „Urbane Mischung“.
Das Programm der gesamten Reihe ist hier zu finden
Die Veranstaltungsreihe ist ein Gemeinschaftsprojekt der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht, des BayernForums der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Evangelischen Stadtakademie und der Münchner Volkshochschule/ Nord-Ost-Forum in Kooperation mit dem Ökologischen Bildungszentrum und NordOstKultur e.V.