Fakten und Hintergründe zur Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM)

Bündnis Pro SEM! – lebenswerte Stadtquartiere und bezahlbares Wohnen im Münchner Nordosten und Norden

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Fakten und Hintergründe

  1. Wachsende Stadt, wachsender Bedarf an bezahlbaren Wohnungen
    München ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und wird weiter wachsen. Die attraktiven Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze und die kulturellen und landschaftlichen Qualitäten der gesamten Metropolregion ziehen vor allem viele jüngere Menschen überwiegend aus Europa an. Da nicht nur innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union, sondern im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) der Grundsatz der Freizügigkeit gilt, kann die Stadt (selbst wenn sie es wollte) nicht einfach wie im Mittelalter die Stadttore schließen. Einwohner 31.12.2008: 1,37 Mio. Einwohner 31.10.2018 1,54 Mio. (+ 170.000 EW, d.h. durchschnittl. +17.000 EW/Jahr) Einwohner 2035 (Prognose) 1,85 Mio. (+ 310.000 EW , d.h. durchschnittl. + 18.000 EW/Jahr)
    Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist heute schon riesig und der Bedarf wird weiter wachsen. Die Warteliste für eine geförderte Wohnung beim Amt für Wohnen und Migration umfasste 2017 mehr als 17.000 berechtigte Haushalte, tatsächlich vermittelt werden konnten aber weniger als 4.000 geförderte Wohnungen.

    München ist seit der Weltfinanzkrise 2007 einer der präferierten Orte für internationale Finanzanleger, die in Boden und Immobilien investieren. Dadurch sind die Baulandpreise für Geschosswohnungsbau allein in den letzten 10 Jahren um das Vierfache gestiegen. Die eh‘ schon hohen Mieten sind explodiert, so dass auch Familien mit durchschnittlichem Einkommen immer mehr Probleme haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden.


    Für weitere Informationen zur Wohnungsmarktsituation siehe hier.

  2. Flächen für geförderten oder preisgedämpften Mietwohnungsbau sind knapp
    Bezahlbare Wohnungen mit langfristiger Bindung (i.d.R. 60 Jahre) können im Wesentlichen auf der Spekulation entzogenen, also der Stadt gehörenden Flächen entstehen. Denn die Stadt vergibt Grundstücke mit Konzeptausschreibungen und im Erbbaurecht überwiegend für den geförderten und den preisgedämpften konzeptionellen Mietwohnungsbau zu limitierten Preisen deutlich unterhalb des Verkehrswertes für Grundstücke ohne Bindungen. In untergeordnetem Umfang (und mit derzeit noch deutlich kürzerer Bindungsfrist) stehen dafür auch die durch städtebauliche Verträge gem. SoBoN für den geförderten bzw. preisgedämpften Mietwohnungsbau gebundenen privaten Grundstücke zur Verfügung.
    Die an vielen Stellen in der Stadt städtebaulich mögliche kleinteilige Nachverdichtung und Umstrukturierung anderweitig genutzter oder brachliegender Flächen sind vor Ort häufig umstritten und die Schaffung von Baurecht ist auch deshalb oft langwierig. Trotzdem sind diese beiden Strategien zur Schaffung von zusätzlichen Wohnungen notwendig und sinnvoll.
    Ohne größere zusammenhängende Flächen in städtischem Eigentum sind allerdings die vom Stadtrat im Rahmen des Handlungsprogramms „Wohnen in München VI“ beschlossenen Zielzahlen (Fertigstellung von 8.500 Wohnungen jährlich, davon 2.000 geförderte) mittelfristig auf keinen Fall mehr zu erreichen.

    Informationen zu den Strategien der langfristigen Siedlungsentwicklung und zu den Wohnbauflächenpotenzialen finden Sie hier.

  3. Ohne SEM Nordost und Nord gehen der Stadt schon in wenigen Jahren die Flächen für geförderten und preisgedämpften Mietwohnungsbau aus.
    Da die städtischen Grundstücksvorräte in den letzten großen überwiegend stadteigenen Entwicklungsbereichen Freiham und Bayernkaserne in den nächsten 5-7 Jahren erschöpft sein werden, braucht es für die Zukunft die Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (SEM) Nordost und Nord mit Größenordnungen von jeweils ca. 25-30 Tsd. Einwohnerinnen und Einwohner. Deshalb hat der Stadtrat bereits 2011 die Einleitung vorbereitender Untersuchungen für die SEM Nordost beschlossen. Diese wurden 2016 abgeschlossen und 2017 in zahlreichen Veranstaltungen mit der Öffentlichkeit diskutiert. Im gleichen Jahr wurde auch die Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht im Untersuchungsgebiet beschlossen. Als nächster Schritt soll 2019 ein städtebaulich-landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb ausgelobt werden, dessen Ergebnisse in den danach ab 2020 folgenden Beschluss über ein Strukturkonzept einfließen sollen.
    Die SEM Nord war in der Rathausumschau im Februar 2017 angekündigt worden. Damit waren zunächst die Bodenpreise in dem ca. 900 ha großen, relativ kleinteilig parzellierten und überwiegend im Eigentum von Landwirten befindlichen Untersuchungsgebiet im 24. Stadtbezirk (Feldmoching-Hasenbergl) „eingefroren“ worden. Nachdem in Bürgerversammlungen eine mehrheitlich skeptische bzw. ablehnende Haltung zu den Planungsüberlegungen und zum Instrument SEM geäußert worden waren und rund 200 in der Initiative HEIMATBODEN zusammengeschlossene Eigentümerinnen und Eigentümer eine SEM ablehnten und stattdessen eine Baurechtsentwicklung nach den Grundsätzen der sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) forderten, beschloss der Stadtrat am 27.06.2018 keine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Norden einzuleiten. Stattdessen beauftragte er die Verwaltung mit der „Entwicklung eines kooperativen Stadtentwicklungsmodells, bei dem die Wertsteigerung für die Tragung von Entwicklungskosten verwendet werden kann, zugleich aber auch der Eigentümerschaft ein hinreichender Anteil an der Wertsteigerung verbleibt.“ (StR Vorlage Nr. 14-20/V 11936, S. 3). Damit entfiel spätestens ab diesem Zeitpunkt im Untersuchungsumgriff im Münchner Norden auch die Bremse für einen weiteren Anstieg der Bodenpreise wieder. Zugleich wurde allerdings eine Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht der Stadt im Untersuchungsgebiet beschlossen.

    Informationen zum Planungsstand der SEM Nordost, zu den Strukturkonzept-Varianten und zum Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung sind hier zu finden.

Daten und Fakten SEM Nordost und Nord  
1.  SEM Nordost  
Fläche des Untersuchungsbereichs

ca. 600 ha

Geplante Einwohner ca. 30.000
Geplante Arbeitsplätze ca. 10.000
Zahl der Eigentümer*innen ca. 500
Wesentliche Stadtratsbeschlüsse  
Vergabe von Gutachten i.R. vorbereitender Untersuchungen 27.11.2013
Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht 25.01.207
Auftrag zur Beteiligung der Öffentlichkeit 25.01.2017

Auftrag zur Vorbereitung eines städtebaulich / landschaftsplanerischen Ideenwettbewerbs

13.12.2017
Eckdatenbeschluss für den Ideenwettbewerb geplant im 1. Quartal 2019
2. SEM Nord  
Fläche des Untersuchungsbereichs ca. 900 ha

Zahl der Eigentümerinnen und Eigentümer

über 200
Ankündigung einer SEM in der Rathausumschau Feb. 2017
Wesentliche Stadtratsbeschlüsse  

Auftrag zur Erarbeitung eines integrierten Strukturkonzeptes für den Münchner Norden

20.07.2016

Abkehr von einer SEM im Norden; Auftrag zur Entwicklung eines kooperativen Entwicklungsmodells und weiterer Grundlagenuntersuchungen; Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht

27.06.2018
  1. Qualität ist wichtig – Grünflächen, urbane Dichte und Mischung, nachhaltige Mobilität, soziale Infrastruktur…
    Natürlich geht es bei der Siedlungsentwicklung im Münchner Nordosten und im Norden nicht um ein „Bauen um jeden Preis“. Die Sicherung und Weiterentwicklung der für den Naturhaushalt, das Stadtklima und die Naherholung wichtigen Grün-und Freiflächen ist ein zentrales Planungsziel. Es ist davon auszugehen, dass maximal ca. 2/3 des 600 Hektar (ha) großen Untersuchungsbereichs für die Entwicklung eines neuen Stadtteils mit rund 30.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und 10.000 Arbeitsplätzen benötigt werden. Von diesen rund 400 ha sind fast 120 ha als landschaftliche Ausgleichsflächen, über 50 ha als öffentliche Grünflächen und knapp 230 ha als Flächen für Baugebiete, Verkehr und Gemeinbedarf vorgesehen. Ziel ist, dass keine monotonen Wohngebiete entstehen, sondern dass Wohnen mit Kleingewerbe, Einzelhandel und Kultur- und Gemeinbedarfsnutzungen zu einer möglichst urbanen Mischung kombiniert wird. Die Dichte der neuen Quartiere sollte vor allem im Einzugsbereich der bestehenden S-Bahnhöfe und der geplanten Tram- bzw. U-Bahnhaltepunkte relativ hoch sein, um vernetzte Mobilität zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit Bus und Bahn sowie mit Car Sharing zu fördern und die Zahl der privaten PKW-Stellplätze möglichst weit reduzieren zu können. Diese Qualitäten sind in den im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen entwickelten drei Strukturkonzept-Varianten für den Nordosten im Prinzip angelegt.

  2. SEM – ein bewährtes Instrument gemeinwohlorientierter Bodenpolitik
    Nur mit dem Instrument der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM), das das Baugesetzbuch (§§ 165 ff.) ausdrücklich für die Planung und Realisierung großer neuer Ortsteile in Bereichen mit zahlreichen privaten Eigentümern „zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten (und) zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen, …“ vorsieht, kann die Stadt per Vorkaufsrecht oder freihändig die Grundstücke zum niedrigen (landwirtschaftlichen) Bodenwert vor der Schaffung von Baurecht („entwicklungsunbeeinflusster Wert“)erwerben und später zum wesentlich höheren („entwickelten“) Wert an Bauwillige wieder privatisieren – „unter Berücksichtigung breiter Kreise der Bevölkerung … Dabei sind zunächst die früheren Eigentümer zu berücksichtigen.“

    Entscheidender Unterschied zwischen SEM und der über städtebauliche Verträge gem. § 11 BauGB in München seit 1994 praktizierten SoBoN (Sozialgerechte Bodennutzung) ist die Reichweite der Gemeinwohlbindung des Bodeneigentums. Bei der auf freiwilliger Mitwirkungsbereitschaft basierenden SoBoN fließt mindestens ein Drittel der durch die Baurechtschaffung erzielten leistungslosen Bodenwertsteigerungen auf die Konten der Privaten. Bei einer SEM können durch den Zwischenerwerb der Grundstücke durch die Stadt die entwicklungsbedingten leistungslosen Bodenwertsteigerung bis zu hundert Prozent der Allgemeinheit zugutekommen, wie es Artikel 161 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung fordert.

    Artikel 161 der Verfassung des Freistaates Bayern
    (1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht. Missbräuche sind abzustellen.
    (2) Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

    Die Kosten einer SEM (Erschließung, soziale Infrastruktur, geförderter Wohnungsbau) sollen möglichst weitgehend aus den durch die Baurechtschaffung und Entwicklung bedingten Bodenwertsteigerungen refinanziert werden. Eigentümerinnen und Eigentümer, die den städtischen Zwischenerwerb bzw. das Vorkaufsrecht abwenden und die geplante Entwicklung auf ihren Grundstücken selbst realisieren wollen, müssen die entwicklungsbedingte Erhöhung des Bodenwertes als Ausgleichsbetrag an die Stadt zahlen. Nur bei einer SEM können auch die tatsächlichen Maßnahmenkosten für Erschließung, Baureifmachung und soziale Infrastruktur einschließlich Tram- oder U-Bahn sowie weiterführender Schulen finanziert werden (soweit sie der Entwicklungsmaßnahme zugerechnet werden können und nicht von Bund oder Freistaat gefördert werden). Bei städtebaulichen SoBoN-Verträgen können die Privaten nur für die strikt ursächlichen Maßnahmen nach (i.d.R. unterhalb der tatsächlichen Vollkosten liegenden) pauschalierten Kostenkennwerten herangezogen werden. Ein Tram- oder U-Bahnanschluss oder weiterführende Schulen gehen bei der SoBoN voll zu Lasten des städtischen Haushaltes bzw. staatlicher Förderprogramme. Auch der Anteil an gefördertem (30%) und preisgedämpftem Mietwohnungsbau (10%) ist bei SoBoN-Verträgen gedeckelt, während bei einer SEM die Förderquote für städtische Grundstücke von 50% plus weitere Anteile für den preisgedämpften konzeptionellen Mietwohnungsbau sowie ein 30%-Anteil für Genossenschaften realisiert werden können.

Im Ergebnis heißt das: zu Lasten des städtischen Haushaltes und damit aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kassieren ohne SEM die Eigentümerinnen und Eigentümer bei den Münchner Bodenmarktverhältnissen exorbitant hohe leistungslose Bodenwertgewinne.
Anders als in Eigentümerkreisen behauptet, geht es bei der Durchführung einer SEM aber nicht darum, die Eigentümerinnen und Eigentümer zu enteignen. Ziel ist vielmehr, in Kooperation mit den Eigentümern eine qualitativ hochwertige und koordiniert durchgeführte städtebauliche Entwicklung möglichst zügig umzusetzen. Das zeigt schon die in § 166 Abs. 3 BauGB ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit, dass Eigentümer, die die Planungsziele in angemessener Frist selbst umsetzen wollen, vom grundsätzlich in der SEM vorgesehenen Grunderwerb durch die Stadt durch eine Abwendungsvereinbarung ausgenommen werden können. Eine Enteignung ist als ultima ratio überhaupt nur dann zulässig, wenn, sich die Stadt zuvor „ernsthaft um den freihändigen Erwerb des Grundstücks zu angemessenen Bedingungen bemüht hat.“ (§ 169 Abs. 3 BauGB) Die langjährigen bundesweiten Erfahrungen mit einer großen Zahl von SEM zeigen, dass Enteignungen bei SEM sehr selten sind. Es liegt auf der Hand, dass die Stadt ein großes Interesse an einvernehmlichen Lösungen hat, da die rechtlichen und verfahrensmäßigen Hürden einer Enteignung hoch und diese durch Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen auch meist sehr zeitaufwändig sind. Im Übrigen ist die Möglichkeit einer Enteignung gegen Entschädigung als ultima ratio keineswegs auf SEM beschränkt: §§ 85ff. BauGB nennen zahlreiche Fälle in Bebauungsplangebieten oder im unbeplanten Innenbereich, bei denen Enteignung im Einzelfall möglich ist, „wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann.“ (§ 87 Abs. 1 BauGB). Das steht unstreitig in völliger Übereinstimmung mit der Eigentumsgarantie und der Sozialpflichtigkeit des Eigentums, wie sie in Art. 14 des Grundgesetzes geregelt ist.
Hinzu kommt: Angesichts der hohen Zahl von Eigentümerinnen und Eigentümern ist eine nur auf Freiwilligkeit und städtebaulichen Verträgen nach den SoBoN-Verfahrensgrundsätzen basierende konzeptionell einheitliche Entwicklung in beiden Gebieten nach allen bisherigen Erfahrungen in überschaubaren Zeiträumen völlig unrealistisch. Die bislang größten SoBoN-Verfahren hatten meist deutlich weniger als 20 private Partner.


Stephan Reiß-Schmidt 07.01.2019